„Soziale Arbeit ist immer auch politisch“

Im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen erzählt eine IB-Mitarbeiterin von der Demokratie-Arbeit vor Ort


Einrichtung des Internationalen Bundes (IB) in Sachsen

Einrichtung des Internationalen Bundes (IB) in Sachsen: Wie sieht Demokratie-Arbeit vor Ort aus? Foto: IB

Am kommenden Sonntag (1. September) wählen Sachsen und Thüringen neue Landtage. Die AfD belegt in beiden Fällen vordere Umfrage-Plätze. Im Rahmen des Jahres der Demokratie erzählt eine IB-Mitarbeiterin von der Arbeit vor Ort.

Franziska El Makhloufi ist für das Planungsraum-Management des IB in Leipzig aktiv. Diese Tätigkeit vernetzt kommunale und freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe mit dem Ziel, durch fachlichen Austausch und Kooperation deren Angebote weiterzuentwickeln. Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen, die die Sozialarbeitenden in ihrer täglichen Arbeit mit Klienten*Klientinnen wahrnehmen, stehen dabei im Fokus.

Frau El Makhloufi, welche Bedeutung hat das Thema Demokratie für die Klienten*Klientinnen und die Sozialarbeitenden in Ihrer Region?

In meinem Verständnis ist Soziale Arbeit immer auch politisch. Indem sie zum einen Klienten*Klientinnen bei der Wahrnehmung ihres elementaren Rechts auf Teilhabe und Mitbestimmung unterstützt. Und zum anderen im öffentlichen Diskurs eine Stimme für die Benachteiligten ist. Große Soziale Träger wie der IB stehen hier in einer besonderen Verantwortung. Unsere Demokratie wird aus der Erfahrung vieler Sozialarbeitenden jedoch nicht nur von rechtspopulistischen Parteien bedroht, sondern auch durch eine neoliberale Sozialpolitik mit ihren massiven Einsparungen im sozialen Bereich. Diese haben zu einer Spaltung der Gesellschaft und zu einem gesellschaftlichen Klima der Ent-Solidarisierung geführt. Dies ist aus meiner Sicht der Nährboden für den derzeitigen Erfolg rechtspopulistischer Parteien.

Rechtspopulistische Parteien haben oft sozialen Kahlschlag im Programm stehen. Können Sie den Widerspruch erklären, dass sie dennoch oft von sozial benachteiligten Menschen gewählt werden, die selbst unter den Kürzungen leiden würden?

Ich vermute, dass viele Wähler*innen rechtspopulistischer Parteien nicht wissen, welche gravierenden sozialen Einschnitte diese Parteien planen. Im Wahlkampf geben sich diese ja gerade als vermeintlicher "Anwalt des kleinen Mannes" aus. Menschen, die die Bewältigung ihres Alltags als herausfordernd erleben und beispielsweise durch große materielle Sorgen belastet sind, haben meist nicht die Kraft und Ressourcen, um sich detailliert mit Parteiprogrammen zu beschäftigen.

Zudem haben die soziale Spaltung und Ent-Solidarisierung der deutschen Gesellschaft zu Abstiegsängsten geführt, nicht nur von sozial benachteiligten Menschen, und zu Skepsis gegenüber den etablierten demokratischen Parteien. Beides versuchen die Rechtspopulisten für sich zu nutzen und in eingängigen Wahlslogans einfache Antworten auf komplexe gesellschaftliche Herausforderungen zu formulieren. Für die demokratischen Kräfte in unserem Land wird es darum gehen, sich eindeutig gegen die rassistischen und menschenfeindlichen Ideologien dieser rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien zu positionieren. Und zugleich die Unzufriedenheit und Kritik von deren Wähler*innen an bestehenden gesellschaftlichen Zuständen ernst zu nehmen. Aus meiner Sicht wird das die große Aufgabe der nächsten Jahre für die demokratischen Parteien, die Zivilgesellschaft und auch die Soziale Arbeit sein.

Haben sich die Fragen und Wünsche von Sozialarbeitenden und Klienten*Klientinnen zu diesem Thema in den letzten Jahren geändert?

Die Sozialarbeitenden erleben ihre professionelle Rolle in der aktuellen politisch-gesellschaftlichen Situation als besonders herausfordernd: Zum einen wollen sie sich klar gegen rechtspopulistische und rechtsextreme Ideologien und Phrasen positionieren, zum anderen wollen sie mit ihren Klienten*Klientinnen im Gespräch bleiben und auch ihre unterstützenden sozialen Aufgaben wahrnehmen. Deshalb gibt es ein großes Interesse an Weiterbildungen und kollegialem fachlichen Austausch zum Thema.

Ärgert es Sie, dass man in Westdeutschland oft pauschal denkt "Der Osten steht politisch nahezu vollständig rechtsaußen"?

Diese mediale Darstellung ist vor allem für jene schmerzhaft, die sich seit Jahren in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Kontexten aktiv für die Demokratie engagieren. Die großen Demos gegen Rechtsextremismus Anfang dieses Jahres fanden ja auch im Osten statt. Und wenn 30 Prozent der Menschen hier demokratiefeindliche Parteien wählen, dann tun es 70 Prozent eben nicht.

Zudem ist dieses Narrativ gefährlich für unsere Demokratie: weil es zum einen gewissermaßen Wasser auf die Mühle der Rechtspopulisten ist, die sich ja gerade bei den anstehenden Landtagswahlen als Stimme des Ostens darstellen. Es könnte also wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirken. Zum anderen verhindert es die kritische Auseinandersetzung mit wichtigen Fragen, beispielsweise nach der politischen und medialen Unterrepräsentanz des Ostens, nach der Ungleichverteilung von Wohlstand, Bildungs- und Aufstiegschancen und nach der Ungleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land.

Was wünschen Sie sich für Ihre Arbeit von der Landes- und Kommunalpolitik?

Demokratieförderung muss langfristig, niederschwellig und präventiv begriffen werden. Sie findet also gerade in den vielfältigen Angeboten der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, der Familienbildung, der Jugendkulturarbeit, der internationalen Jugendarbeit, der Kita- und Schulsozialarbeit, den Beziehungsangeboten von Pädagogen*Pädagoginnen in Kita, Hort und Schule statt. Dort können Kinder und Jugendliche grundlegende Erfahrungen machen und Kompetenzen erwerben, wie Selbstwirksamkeit, Kooperation und Solidarität, Partizipation und Konfliktlösung, die komplexere demokratische Partizipationsformen erst ermöglichen. Soziale Arbeit sollte deshalb in der Vielfalt ihrer Angebote und langfristig gefördert werden. Betreuungsschlüssel in Kita und Hort sowie Klassenstärken in der Schule sollen "Lernen durch Beziehung" ermöglichen. Solidarische Gesellschaft muss für alle erfahrbar sein und bleiben. „Ich lebe in einem Land, in dem ich teilhaben und teilnehmen kann.“ Diese Erfahrung brauchen Menschen. Dann werden sie sich auch mit der Demokratie identifizieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Matthias Schwerdtfeger


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