"Ein Leben in Armut bedeutet, im ständigen Krisenmodus zu sein"

Zum Internationalen Tag für die Beseitigung von Armut am 17. Oktober spricht Steffi Brewig, Referentin für Schulsozialarbeit beim IB, über Benachteiligung, Sensibilisierung von Lehrkräften und wie Schulen Abhilfe schaffen können


Steffi Brewig

Steffi Brewig, Referentin für Schulsozialarbeit beim Internationalen Bund (IB). Foto: IB

Zum Internationalen Tag für die Beseitigung von Armut am 17. Oktober spricht Steffi Brewig, Referentin für Schulsozialarbeit beim Internationalen Bund (IB), über Benachteiligung, Sensibilisierung von Lehrkräften und wie Schulen Abhilfe schaffen können.

Welche konkreten Auswirkungen hat Armut für Schüler*innen auf ihre schulische Leistung und Motivation?

Steffi Brewig: In jedem Fall hat Armut hier gravierende Auswirkungen. Der Bildungserfolg eines Kindes ist in Deutschland immer noch extrem abhängig von seiner sozialen Herkunft. Diesen Zusammenhang belegen zahlreiche Studien, wie kürzlich auch der Nationale Bildungsbericht 2024. Kinder aus armutsbetroffenen Familien erleben oft Einschränkungen bei gesellschaftlicher Teilhabe, alltäglicher und gesundheitlicher Versorgung. Das wirkt sich negativ auf ihre Bildungschancen aus. Viele Faktoren spielen eine Rolle: Etwa können Eltern im Niedriglohnsektor ihren Kindern tendenziell weniger Bildungsimpulse geben. Auch ein dauerhaft knapper finanzieller Spielraum kann Kinder von schulischen und außerschulischen Aktivitäten ausschließen und schränkt damit ihre Möglichkeiten ein, sich auszuprobieren, Fähigkeiten zu entdecken und ihre Lebenswelt zu erweitern. Darüber hinaus leben von Armut betroffene oder gefährdete Kinder häufig in belastenden Wohnsituationen, was das Lernen und die Konzentration schwer macht. Ein Leben in Armut bedeutet, im ständigen Krisenmodus zu sein. Der anhaltende Stress kann sich auf die mentale Gesundheit auswirken und es kommt beispielsweise zu Depressionen, Schlafstörungen und Ängsten. Schließlich haben die gesellschaftlichen Krisen der letzten Jahre, wie die Pandemie und die Energiekrise, die Armutsbelastungen noch verstärkt.

Wie können Lehrkräfte dies im Unterricht erkennen und abbauen?

Steffi Brewig: Um diese Strukturen zu erkennen und abzubauen, sollten Lehrkräfte in ihrer Ausbildung stärker für soziale Ungleichheiten sensibilisiert werden. Außerdem ist eine enge Zusammenarbeit mit Schulsozialarbeitenden und anderen Fachkräften entscheidend, um Unterstützungsstrategien zu entwickeln. Lehrkräfte sollten den Austausch über die Lebenswelten ihrer Schüler*innen fördern, um Verständnis auf- und Vorurteile abzubauen. Es ist wichtig, das Bewusstsein für die sozialen Hintergründe der Schüler*innen zu schärfen, um Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden. Zudem sollten niedrigschwellige Gesprächsangebote für Eltern geschaffen und gemeinsame Erlebnisse außerhalb der Schule organisiert werden. Die aktive Beteiligung der Schüler*innen an der Gestaltung des Schulalltags ist auch entscheidend, um Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen und positive Erwartungen und eine Bindung an Schule zu schaffen.

Wie kann eine Schule sicherstellen, dass Kinder nicht aufgrund ihrer finanziellen Lage ausgeschlossen werden?

Steffi Brewig: Indem sie ein ganzheitliches Unterstützungsnetzwerk aufbaut. Dazu zählt eine enge Kooperation zwischen Schule, Kindern oder Jugendlichen, Familien, der Schulsozialarbeit und externen Einrichtungen. Durch diese Vernetzung können Schüler*innen Zugang zu Ressourcen und Unterstützungen erhalten, die ihre Lebenswelt erweitern und ihre Bildungschancen verbessern. Zudem muss sich Schule exkludierender Faktoren bewusst sein und unbedingt vermeiden, dass Schüler*innen zum Beispiel durch hohe Kosten für Klassenfahrten ausgeschlossen werden.

Welche Rolle spielt die Schulsozialarbeit in der Unterstützung von Schüler*innen aus armutsbetroffenen Familien?

Steffi Brewig: Die Schulsozialarbeit spielt eine entscheidende Rolle in der Unterstützung von Kindern armutsbetroffener Familien. Sie sorgt dafür, dass diese nicht ausgegrenzt werden, indem sie soziale und finanzielle Hürden abbaut. Schulsozialarbeiter*innen sind sozialraumorientiert und mobilisieren externe Hilfen, um Kinder und ihre Familien zu unterstützen. Ihre Arbeit betont die Stärken und Resilienz der Schüler*innen und bietet individuelle Beratung und Begleitung. Ziel ist es, die Lebenssituation der betroffenen Familien zu verbessern und strukturelle Veränderungen anzustoßen, um langfristige Verbesserungen in den Lebens- und Bildungslagen zu erreichen.

Die Fragen stellte Laura Gerth


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