Mit ihrem neuen Migrationspakt will die EU-Kommission den jahrelangen Streit unter den Mitgliedsstaaten beenden. Bevor ein*e Migrant*in in ein europäisches Land kommt, soll der betroffene Staat nach Vorstellung der Kommission künftig an der Grenze eine Vorüberprüfung vornehmen - deutlich umfangreicher als bisher: Migrant*innen werden registriert, Fingerabdrücke genommen, es gibt Gesundheits- und Sicherheitschecks. Kommen Asylsuchende aus einem Land mit einer geringen Anerkennungsrate - Tunesien oder Marokko etwa - soll es innerhalb von zwölf Wochen ein schnelles Grenzverfahren geben. Für alle anderen gilt ein "normales" Verfahren. Während der Verfahren schließt die EU-Kommission auch nicht aus, dass Migrant*innen in geschlossenen Lagern festgehalten werden. Verpflichtende Umverteilungen von Schutzsuchenden nach Quoten auf alle EU-Länder soll es nicht geben. Diese Idee hatte die EU-Staaten in den vergangenen Jahren entzweit und galt der EU-Kommission offenbar als nicht durchsetzbar.
Anstelle verpflichtender Umverteilungen hat die Kommission daher ein mehrstufiges System entwickelt. Es soll finanzielle Anreize geben: Nehmen Länder Flüchtlinge aus anderen Mitgliedstaaten auf, sollen sie aus dem EU-Budget 10.000 Euro pro Person bekommen. Bei Minderjährigen sind es 12.000 Euro. In normalen Zeiten können die EU-Staaten einander freiwillig helfen. Gerät ein Land unter Druck, kann es jedoch einen sogenannten Mechanismus für verpflichtende Solidarität auslösen. Die EU-Kommission würde dann prüfen, ob beziehungsweise wie viele Menschen dem Land abgenommen werden müssen.
Jedes andere Land müsste dann Hilfe anbieten: Entweder nimmt es Migranten mit Aussicht auf einen Schutzstatus auf. Oder aber es hilft anderweitig, etwa beim Migrationsmanagement oder durch die sogenannten "Abschiebe-Patenschaften".
„Ich finde den Vorschlag, dass Länder in der EU sich von der Aufnahme von Flüchtlingen gewissermaßen freikaufen können, zynisch“, kritisiert der IB-Vorstandsvorsitzende Thiemo Fojkar den aktuellen Vorschlag der EU-Kommission. Der Plan der EU-Kommission fördere nicht die Solidarität der Länder Europas, sondern den nationalen Egoismus von Staaten, die sich weiterhin weigern können, geflüchteten Menschen Schutz und Obdach zu bieten.
„Die Väter unseres Grundgesetzes sind davon ausgegangen, dass Asylsuchende eine entsprechende Bitte um Aufnahme direkt hier in Deutschland stellen und dann der rechtsstaatliche Weg beschritten wird. Sie hatten keine Vorstellung davon, dass es einmal eine EU-Außengrenze geben könnte, mit deren Hilfe das von ihnen verankerte Recht auf Asyl umgangen werden kann“, so Fojkar. Ziel müsse weiterhin die gerechte Verteilung von geflüchteten Menschen auf die Länder Europas sein. Wenn das weiterhin nicht gelinge, habe die EU als Solidargemeinschaft von 27 Ländern versagt, fasst der IB-Vorstandsvorsitzende zusammen.
„Die künftige Asylpolitik der EU entscheidet darüber, ob die Union als humanitär handelnde Union wahrgenommen wird oder nicht. Versagt die EU hier, ist sie meiner Meinung nach in ihrer Existenz bedroht. Als IB stehen wir für eine humanitäre Asylpolitik und mit unserem Engagement in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit für die Bekämpfung von Fluchtursachen. Menschen auf der Flucht haben als Individuen Anspruch auf humanitäre Behandlung und nicht nur auf eine formaljuristisch korrekte Vorgehensweise. Der IB fördert die Integration von Migrant*innen in die Gesellschaft, selbstverständlich auf Basis rechtsstaatlicher Prinzipien. Nicht umsonst lautet das Leitmotiv des IB Menschsein stärken! Jeder weitere Versuch der EU, sich gegen Flüchtlinge abzuschotten, untergräbt ihr moralisches Fundament“, so Fojkar abschließend.