"Es dominiert: weiß, männlich, erfolgreicher Geschäftsmann und Machtmensch mit Prestigedrang"

Dennis Pfeiffer vom IB-Fanprojekt Fullestadt über Demokratie-Arbeit mit Fußballfans


Dennis Pfeiffer,  Koordinator beim IB-Fanprojekt Fullestadt, das sich an Anhänger*innen des Regionalligisten KSV Hessen Kassel richtet

Dennis Pfeiffer, Koordinator beim vom Internationalen Bund (IB) getragenen Fanprojekt Fullestadt, das sich an Anhänger*innen des Regionalligisten KSV Hessen Kassel richtet. Foto: Daniel Seeger

Fußball und Demokratie? Was hat das miteinander zu tun? Viel, weiß Dennis Pfeiffer, Koordinator beim IB-Fanprojekt Fullestadt, das sich an Anhänger*innen des Regionalligisten KSV Hessen Kassel richtet. Die Begeisterung für den Verein und den Sport ist hier der Anknüpfungspunkt für Jugend, Sozial- und Bildungsarbeit. Dazu zählen unter anderem Spieltagsbegleitung, ein offener Freizeit-Treff, Lesungen, Vorträge und Workshops zu (Demokratie-)Bildung sowie Sucht- und Gewaltprävention.

Zur Fußball-EM im vom IB ausgerufenen Jahr der Demokratie spricht Dennis Pfeiffer über die "50+1"-Regel und warum sie seinen Klienten*Klientinnen besonders wichtig ist. Außerdem geht es um vorbildliche und weniger vorbildliche Profi-Clubs in Sachen vereinsinterne Demokratie sowie um die Vergabe großer Turniere in autoritär regierte Staaten.

Warum sollte einen Fußballfan Demokratie überhaupt interessieren?

Dennis Pfeiffer: Demokratie ist immer eine Form der Beteiligung und Mitbestimmung. Vielen Konsumenten*Konsumentinnen des Fußballs – ich nenne die jetzt mal so, ohne es abwertend zu meinen – ist Demokratie innerhalb des Sports auf den ersten Blick nicht so wichtig. Sie schauen sich die Spiele ihrer Mannschaft an, jubeln bei Siegen und trauern bei Niederlagen – aber die Dinge, die innerhalb der Vereinskultur geschehen, werden höchstens auf den sportlichen Erfolg bezogen interessant.  Anders sieht das aber bei Vereinsmitgliedschaften der gleichen Menschen neben dem großen Sport aus: Sie sind Mitglied in Kleingartenvereinen, Musikzügen oder Sportvereinen, bei denen sie selbst oder ihre Kinder aktiv sind und haben oft ein Interesse daran, die Ausrichtung ihres Vereins mitzugestalten.

Aktive Fans, wie zum Beispiel Ultras, sehen sich als genau das: Teil des Vereins. Um einen Verein so zu gestalten, wie es den eigenen Idealen entspricht, benötigt es demokratische Strukturen, in denen etwa Führungskräfte abgewählt oder vorgeschlagen werden können, die Satzung verändert oder angepasst und die Ausrichtung des Vereins auf diese Weise mitbestimmt werden kann. In denen man gegen einen Kurs des Vereins oder dafür stimmen beziehungsweise zumindest ein Votum darüber erreichen kann.

Was ist "50+1"?

Dennis Pfeiffer: Bei vielen Menschen, die Fan eines Fußballvereins von Liga eins bis drei sind, wird noch immer davon gesprochen, dass der FC Borussia XY „mein Verein“ ist. Dabei ist das genau genommen bei den meisten Clubs gar nicht mehr so. Fast alle haben ihre erste Herrenmannschaft in Form einer GmbH oder AG ausgegliedert. Kapitalgesellschaften können aber gekauft und verkauft werden, der Besitzer oder Mehrheitseigner kann relativ autonom entscheiden, welcher Kurs gefahren wird. Nehmen wir an, mein Verein, der KSV Hessen Kassel, entscheidet sich, die erste Mannschaft in eine Kapitalgesellschaft auszugliedern. Dann bestünde theoretisch für jede finanziell ausreichend ausgestattete Person die Möglichkeit, diese Kapitalgesellschaft als Investment oder Hobby in Teilen oder komplett zu kaufen, zu übernehmen und damit nach Gutdünken zu verfahren. Die Mitglieder des Muttervereins hätten nun keinerlei Möglichkeit der Mitbestimmung über ihre ausgegliederte erste Mannschaft. Dem schiebt "50+1" einen Riegel vor: Die Regelung der deutschen Fußballverbände bedeutet nämlich, dass der Verein – also dessen Mitglieder und gewählte Vertreter – bei der Kapitalgesellschaft immer über eine Stimme mehr verfügen, als Investoren – und damit grundsätzlich das letzte Wort haben. Das ist eine Sonderregelung in Deutschland, die für Stabilität sorgt. 

Warum ist diese Regelung den Fußball-Fans so wichtig? Welche Gefahr sehen sie im Falle einer Abschaffung?

Dennis Pfeiffer: Mehrheitseigner haben international für einige negative Auswüchse gesorgt. Man begibt sich in vollkommene Abhängigkeit, auch der Wettbewerb wird verzerrt. Investoren handeln im seltensten Fall aus reiner Nächsten- oder Vereinsliebe. Sie wollen von ihrem Investment in der Regel monetär oder mindestens in Bezug auf ihren gesellschaftlichen Status profitieren und nutzen die Clubs als Spekulationsobjekt. Es werden Risikogeschäfte getätigt: Der Club wird übernommen, mit hohen Schulden ins internationale Geschäft gehievt und dann mit Gewinn veräußert, bis das Risiko einer erneuten Übernahme für die Interessenten zu groß ist. In England, Spanien und Italien wurden Clubs teilweise hoch verschuldet und weiterverkauft. Manche sind völlig von der Bildfläche verschwunden. Der Mutterverein und dessen Vereinsmitglieder haben also keinerlei Kontrolle mehr über das Spekulationsobjekt der Investoren, das eigentlich mal ihr Club war. Sie haben ihm Zeit, Engagement und manchmal auch noch mehr geopfert. Es nimmt ihnen jede Möglichkeit auf Mitbestimmung und Teilhabe.

Welche Einflussmöglichkeiten haben Fußball-Fans als Mitglieder moderner Profi-Clubs überhaupt?

Dennis Pfeiffer: Grundsätzlich können Fans, wenn sie Mitglied sind, in die Geschicke der Vereine – und bei 50+1 auch ihrer Kapitalgesellschaften – eingreifen. Sie können – je nach Aufbau – Aufsichtsrat und Vorstand wählen, die ihre Interessen vertreten oder zumindest Vereinspolitik so gestalten, wie es den eigenen Idealen entspricht.

Dafür lassen sich auch Wahlkampagnen starten, die über die Fankurve mittels Spruchbändern, Fanmagazinen oder Social Media verstärkt werden. Beim KSV Hessen Kassel etwa stellen Vertreter*innen der Fanszene nach der Insolvenz inzwischen zwei Drittel des Vorstandes, darunter den Finanzvorstand und zwei Aufsichtsratsposten. Hier stehen Erhalt und Nachhaltigkeit des Vereins inzwischen über dem kurzfristigen Erfolg. Vereinsmitglieder können Funktionsträgern auch die Entlastung verweigern – einem Mehrheitseigner kann man erst einmal gar nichts, sofern er nicht gegen Gesetze verstößt. Auch kann die Satzung per Antrag verändert werden. Beim KSV bedeutete dies, dass vor einigen Jahren der deutschlandweit vielleicht progressivste Antidiskriminierungsartikel installiert und zudem Hinterzimmerpolitik bei der Besetzung von Posten durch graue Eminenzen deutlich erschwert worden und kaum mehr möglich ist.

Aus Sicht eines Sozialarbeiters ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn Fans sich demokratisch beteiligen. Es ist erfahrungsgemäß als gegeben anzusehen, dass es sich positiv auf das Verhalten aktiver Fans auswirkt, wenn sie sich als Teil des Vereins sehen können und transparent über Entscheidungen informiert werden. Es ist keine hohe Mathematik, zu prophezeien, dass eine Entfremdung zum Club auch gleichbedeutend ist mit weniger Rücksichtnahme. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich gänzlich ungeniert.

Welche deutschen Clubs siehst Du in Sachen "vereinsinterne Demokratie" als vorbildlich – oder zumindest als "nicht ganz so schlimm"?

Dennis Pfeiffer: All diejenigen, die ihre erste Mannschaft noch nicht ausgegliedert haben. In der Bundesliga sind das nun zumindest wieder sechs: Mainz, Union Berlin, Heidenheim, Freiburg, St. Pauli und unsere Freunde von Holstein Kiel, die sich hoffentlich in der Bundesliga festsetzen werden. Auf der anderen Seite hat man eben Leipzig, Wolfsburg, Leverkusen und Hoffenheim, wo die Clubs eben nicht den Mitgliedern, sondern Unternehmen oder Einzelpersonen gehören. Was passieren kann, wenn die sich dann entscheiden, die Unterstützung zu beenden, zeigt das Beispiel Bayer Uerdingen. Der Nachfolgeverein KFC Uerdingen, ehemals DFB-Pokalsieger und Europapokal-Halbfinalist, kämpft seit Jahren als Fahrstuhlmannschaft zwischen Oberliga und Regionalliga um das finanzielle Überleben.

Warum tut sich professioneller Fußball vereinsintern teilweise so schwer mit Demokratie?

Dennis Pfeiffer: Naja, wenn man einen Blick darauf wirft, wer in den Clubs welche Positionen bekleidet, dann lässt sich durchaus ein Muster erkennen: Es dominiert weiß, männlich, erfolgreicher Geschäftsmann und Machtmensch mit Prestigedrang. Es nervt dann eben, wenn diese lästigen Fans und Mitglieder mit ihrem romantisch-naiven Idealismus ins Geschäft hineinreden möchten und Posten im schlimmsten Fall auch noch selbst und dazu paritätisch besetzen wollen. Das machen die Untergebenen in der Firma doch schließlich auch nicht. Wer das Orchester dirigiert, bestimmt die Musik und die eigene Musik ist immer die beste. Klingt jetzt vielleicht hart, ist aber die Denkweise, die dahinter steckt.

Warum tun sich Fußballverbände so schwer mit Demokratie und vergeben Turniere in undemokratische Staaten – oder tolerieren dies?

Dennis Pfeiffer: Das hat aus meiner Sicht vor allem mit Korruption und persönlicher Vorteilnahme zu tun. Sämtliche der letzten WM-Vergaben hatten nachweislich mit Bestechung zu tun. Es geht dort ja nicht mehr um den sportlichen Wert, sondern darum, die Kuh möglichst effizient zu melken. Ich würde mir zwar wünschen, dass der DFB diesbezüglich noch deutlicher Farbe bekennt, aber zwischen den Zeilen ist die Kritik an FIFA, UEFA und so weiter durchaus erkennbar. Man hat beim DFB vor einiger Zeit erkannt, dass die Art, wie die großen internationalen Verbände agieren, moralisch mindestens fragwürdig ist. Aus meiner Sicht ist die FIFA in ihrer jetzigen Organisations- und Aktionsform mit sehr viel krimineller Energie geladen. Auch das Herunterspielen der Toten von Katar, all die dortige Diskriminierung und Kriminalisierung sowie das Kleinreden des damit verbundenen Repressionsapparats zeugt nicht gerade dafür, dass es bei FIFA-Präsident Infantino und dem ehemaligen Exekutivkomitee noch so etwas wie Überreste eines moralischen Kompasses geben könnte. Das Argument, mit der Vergabe eines sportlichen Großevents einen Wandel in totalitären Staaten herbeizuführen, hat von Olympia 1936 in Deutschland bis zur WM 2018 in Russland einen eher überschaubaren Erfolg, nämlich gar keinen! All das sehen Fans natürlich auch, machen mobil dagegen und ignorieren die Nationalmannschaften auch teilweise.

Welche Einflussmöglichkeiten haben Fans gegenüber internationalen Fußballverbänden?

Dennis Pfeiffer: Sich vernetzen, internationalen Protest organisieren, selbst in die Verbände gehen oder Vertreter*innen dafür finden. Und auf jede Verfehlung aufmerksam machen, damit Highlights wie Weltmeisterschaften für Sponsoren unattraktiv werden. Wo alles ums Geld geht, verändert sich nur etwas, wenn das Geld ausbleibt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Matthias Schwerdtfeger.


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Angelika Bieck
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