Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am 20. Dezember in Magdeburg hat tiefe Wunden gerissen: Bei den Opfern und Angehörigen, im Sicherheitsempfinden, in der politischen Kultur und bei all jenen, die im Nachgang zum Opfer rassistischer und rechtsextremer Hassattacken wurden. In Magdeburg wird die Tat noch lange nachhallen. Ernsthafte Aufarbeitung, Begegnung und ein hoffentlich würdevolles Gedenken können den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft stärker machen – wenn sie nicht zulässt, dass immer wieder Keile einer politischen Instrumentalisierung in sie getrieben werden.
Die reflexhaften Forderungen nach härteren Maßnahmen aufgrund von Anschlägen folgten im Bundestagswahlkampf einer gefährlichen Logik: Sie behandeln Terror als politisches Spektakel, nicht als komplexes Phänomen. Taten wie in Magdeburg werden zu „Trigger“-Ereignissen, an denen sachfremde Themen wie Migration polarisiert werden. Der Täter von Magdeburg war Migrant, aber auch Islamfeind, Mann, Arzt, im Netz und ideologisch mit Rechtsextremen vernetzt. Jede Tat ist einzigartig – aber Radikalisierung folgt auch Mustern. Der Täter von Magdeburg, wie andere sogenannte „Salatbar-Extremisten“, vereinte widersprüchliche Ideologiefragmente zu einem explosiven Cocktail. Hier prallen Rassismus, Islamismus und narzisstische Verschwörungs- und Gewaltfantasien aufeinander – kein klassisches Schema, aber Teil eines Trends zur Hybridradikalisierung.
„Mehr Überwachung, schärfere Gesetze, mehr Abschiebungen“ – diese Mantras suggerieren der Öffentlichkeit Kontrollmöglichkeiten, aber sie lösen die Gefahren durch die Radikalisierung einzelner nicht. Ursachenbezogen müsste der Fokus darauf liegen, die Früherkennung von Radikalisierungsprozessen zu stärken, gesellschaftliche Polarisierungen zu reduzieren und psychologische Angebote auszubauen. Stattdessen propagiert man Symbolpolitik samt Freiheitseinschränkungen.
Besonnenheit ist keine Schwäche!
Was wirklich schützen würde, wäre: eine vernetzte Prävention, bei der Experten*Expertinnen für Deradikalisierung in- und außerhalb der Behörden Warnsignale frühzeitig gemeinsam erkennen und deuten können. Die Magdeburger Tat zeigt erneut: Radikalisierung ist oft individuelle Krisenbewältigung durch Ideologie. Hier müssen Psychologen*Psychologinnen und Behörden Hand in Hand arbeiten.
Schon seit der ersten Meldung in den sozialen Medien wird die Tat instrumentalisiert, um mit der Lüge der „islamistischen“ Gewalt“ oder der „Ausländerkriminalität“ eine Rechtfertigung für pauschalen Rassismus zu haben. Dies zahlt ein auf das Kalkül rechter wie tatsächlicher islamistischer Fundamentalisten: Letztere können ausgehend von rassistischen Diskriminierungserfahrungen Menschen radikalisieren. Rechtsextreme zeichnen ein völlig überzogenes Untergangsszenario, in dem sie sich selbst als einzige Retter inszenieren. Das ist so durchschaubar wie schäbig. Die Folge sind massive rassistische Übergriffe, wie sie Menschen mit Migrationsbiographie in Magdeburg in den vergangenen Wochen erleben mussten.
Gerade weil sich in der Welt rücksichtlose, autoritär agierende Männer durchzusetzen scheinen: Besonnenheit ist keine Schwäche! Es ist analytisch falsch und politisch gefährlich, den Anschlag in Magdeburg in eine Reihe mit tatsächlich islamistisch motivierten Anschlägen in Solingen, Aschaffenburg oder München zu stellen.
Demokratie, Freiheit und Offenheit sterben nicht durch den Terror – sondern wenn wir aus Angst aufhören, an sie zu glauben und sie zu leben.
Matthias Quent ist Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal.