Die USA begehen am 11. Juli (inoffiziell) den Muntere-die-Einsamen-auf-Tag. Bürger*innen sind dann aufgerufen, sich bei Verwandten oder Bekannten zu melden, die alleine leben. In ihrer täglichen Arbeit treffen die Mitarbeitenden des Internationalen Bundes (IB) ebenfalls viele einsame Menschen. Johannes Homann leitet eine IB-Einrichtung für (unter anderem) minderjährige Geflüchtete in Berlin. Im Interview berichtet er von traumatischen Erfahrungen, Falschinformationen und wie sich die jungen Geflüchteten selbst helfen.
Sind viele der alleine nach Deutschland geflüchteten Menschen einsam?
Johannes Homann: Viele Menschen, die flüchten mussten, leiden an traumatischen Erlebnissen, die sich im Heimatland und während der Flucht ereignet haben. Außerdem leiden sie oft sehr unter der Entwurzelung und dem Verlust von Freunden und Familien. Besonders minderjährige Asylsuchende, die ganz alleine auf der Flucht sind, fühlen sich oft einsam, entfremdet und von den Behörden alleingelassen. Ohne die Sprache zu sprechen, finden sie sich in einem fremden System wieder, dass sie vor viele bürokratische Hürden stellt. Hinzu kommt die viel zu lange Verweildauer in provisorischen Settings, die mit großer Unsicherheit und Perspektivlosigkeit einhergeht. In solchen Situationen ist es verständlich, dass sich viele Menschen besonders einsam fühlen und ihre Heimat und Kultur vermissen.
Finden viele allein Geflüchtete in Deutschland zu Gruppen zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen?
Johannes Homann: Viele junge Menschen suchen Kontakt zu anderen Geflüchteten, die einen ähnlichen kulturellen Hintergrund haben und dieselbe Sprache sprechen. In diesen Gruppen finden sie oft die Sicherheit und Teilhabe, die ihnen in unserer Gesellschaft verwehrt bleibt. Für die geflüchteten Menschen sind diese Gruppen wichtige Anknüpfungspunkte, um sich wieder als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen und die Einsamkeit zu überwinden. In diesen Gruppen können sich Menschen mit Fluchterfahrung gegenseitig unterstützen und Erfahrungen austauschen.
Was kann die Gesellschaft tun, um diesen Menschen zu helfen?
Johannes Homann: Es ist wichtig, dass die Gesellschaft solche Gruppen unterstützt und Vereine fördert, die geflüchtete Menschen bei der Ankunft in Deutschland helfen und über die nötige Expertise verfügen. Bleibt dies aus, werden die jungen Menschen sich in eigenen Gruppen zusammenfinden, in denen es schnell zu einer Verbreitung von Falschinformationen und Wertevorstellungen kommen kann, die eine Integration erschweren. Die Gesellschaft muss beginnen, die Einsamkeit der geflüchteten Menschen ernst zu nehmen und sie nicht damit zu entschuldigen, dass sie besser ist als die Schutzlosigkeit in den Herkunftsländern.
Es gibt jedoch auch flüchtende Menschen, die keinen Zugang zu anderen Gruppen aus ihrem Kulturkreis haben, da sie zu einer Minderheit gehören, die nur sehr selten in Deutschland vertreten ist. Sie haben es oft noch schwerer, einen Anknüpfungspunkt zu finden und ziehen sich oftmals sehr aus dem öffentlichen Leben zurück. Auch hier ist die Gesellschaft gefragt, proaktiv auf die Menschen zuzugehen, niedrigschwellige Angebote zu entwickeln, bei denen der Spaß und das Miteinander im Vordergrund stehen. Nur so können Ängste abgebaut werden und das Zusammenleben gelingen.
Aktuell gibt es immer mehr Menschen, die glauben, dass junge Geflüchtete in einer Bringschuld stehen, da sie ja bereits in Deutschland aufgenommen wurden und versorgt werden. Im Gegenzug erwartet man von den jungen Menschen einen großen Willen, sich anzupassen, möglichst bald zu integrieren und für die Gesellschaft einen Mehrwert zu generieren.
Welchen Rat geben sie den jungen Geflüchteten in Ihrer Einrichtung - und welchen der Gesellschaft?
Johannes Homann: Die jungen Menschen haben - oft, ohne es zu wollen - ihre Familie verlassen. Sie haben eine traumatisierende Flucht hinter sich gebracht und leben nun alleine in einem fremden Land. Sie verstehen anfangs häufig nicht, dass sie mit der Ankunft in Deutschland ihr Ziel noch nicht erreicht haben und es nun ganz andere Erwartungen gibt, die die Gesellschaft hat. Sie bewegen sich oft zwischen den Erwartungen der Familien und den Erwartungen der Gesellschaft. Letztere möchte, dass junge Menschen sich unabhängig von ihren Familien vollständig integrieren, obwohl sie auf Grund ihrer aktuellen Entwicklungsphase und der Entwurzelung oft eine Identitätskrise durchlaufen.
Wir müssen es schaffen, jungen, geflüchteten Menschen einen Ausweg aus ihrer Einsamkeit aufzuzeigen. Das gelingt, indem wir sie aktiv in gesellschaftliche Strukturen einbinden und sie sich selbst als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft wahrnehmen können. Andernfalls werden wir diese Menschen überhaupt nicht erreichen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Homann!
Die Fragen stellte Matthias Schwerdtfeger.