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Interview über trans* und non-binäre Personen

Fünf Fragen an Hunter DeTroy
 

  1. Was bedeutet nicht-binär sein für dich?

    Nicht-binär bzw. non-binär ist der Begriff, den ich am meisten nutze, da dieser den meisten Menschen wenigstens ein bisschen bekannt ist. Die meisten haben wenigstens einmal davon gehört. Für mich ist das aber eher ein Überbegriff. Die Erklärung, die ich bei meinen Workshops nutze ist die Folgende: Es gibt die zwei große Überbegriffe: Cis = Personen, die sich mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren & Trans* = Personen, die sich nicht oder nur teilweise mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Und unter Trans* kann man nochmal zwischen "binär Trans*" (identifizieren sich nur teilweise oder gar nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht und verorten sich im binäre Geschlechtssystem, also "Mann" oder "Frau") und "non-binär Trans*" (identifizieren sich teilweise oder gar nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht und verorten sich außerhalb des binären Geschlechtssystems). Und unter "non-binär Trans*", naja, da gibt es so viele Identitäten wie non-binäre Personen. Es gibt einige Begriffe/Labels, die öfters genutzt werden, die helfen sich weniger alleine, weniger als "anders" oder "komisch" zu fühlen. Und unter denen fühlt sich "Genderqueer" für mich am passendsten an. Ich nutze aber auch oft, der einfachheitshalber, den Begriff "trans*", oder "non-binär trans" oder "transmasc non-binär". Aber das führt vielleicht zu weit.
    Also zurück zu eigentlichen Frage: naja, wie ich eigentlich schon gesagt habe, non-binär bedeutet für mich, dass ich mich nicht mit dem mir bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziere und mich auch nicht im binären Geschlechtersystem verorte - auch nicht in der Mitte dazwischen irgendwie. Sondern einfach außerhalb. Wenn man an Farben denkt (ok, ich werde wieder theoretisch) aber viele sehen Geschlechtsidentität als eine Linie, mit blau (männlich/Mann) auf der einen Seite und rot/pink (weiblich/Frau) auf der anderen Seite. Und oft denken sie, dass non-binäre Personen genau in der Mitte sind, also bei lila. Doch für mich ist Geschlechtsidentität ein Farbenkreis (color wheel). Ja, es gibt rot und blau und lila aber es gibt auch grün und gelb und alle möglichen Farbtöne. 
     

  2. In welchen Kontexten ist deine geschlechtliche Identität Thema? Wie findest du das? / Wie gehst du damit um? 

    Tja, meine Geschlechtsidentität ist öfter Thema, als ich es gerne hätte, um ehrlich zu sein. Ich werde generell weiblich gelesen (als Frau wahrgenommen). Also habe ich bei jeder Begegnung, bei jedem neuen Kennenlernen, zwei Möglichkeiten: mich zu "outen" oder "misgendert" zu werden. Im Detail jetzt zu erklären, warum Misgendern nicht super ist, will ich ehrlich gesagt nicht wirklich. Das kann man ganz leicht googlen und Google ist kostenlos. Aber das ist meine Lebenswirklichkeit, denn so wurden und werden wir sozialisiert. In einem sehr starren binären Geschlechtersystem. Sich von diesen Wahrnehmungskategorien zu lösen ist unglaublich schwierig und gelingt mir auch nicht immer. Es ist Übungssache und wenn man noch nicht mal auf dem Schirm hat, dass es Personen gibt, die nicht entweder "Frau" oder "Mann" sind, dann kann noch nicht mal daran geübt werden diese Kategorien zu hinterfragen. Und ja, viele sagen, dass es doch ganz "natürliche" Kategorien sind. Doch ich weise dann immer gerne auf Kulturen hin, die seit Jahrhunderte (oder länger) mehrere Geschlechtsidentitäten haben. Zum Beispiel die Bugis, eine Völkergruppe in Indonesien, die fünf Geschlechter haben (https://en.wikipedia.org/wiki/Gender_in_Bugis_society). Auf der anderen Seite bin ich in vielen Hinsichten sehr privilegiert, bin mir dessen auch bewusst und versuche meine Privilegien für das "Gute" zu nutzen. Ich weiß, dass ich sehr oft die erste "oute" non-binäre Person bin, der Personen begegnen und weiß auch, dass ich Sachen gut erklären kann. Jede Interaktion, bei der ich die Thematik erkläre und vielleicht ein bisschen für Verständnis und Akzeptanz sorge, macht einen Unterschied, direkt und indirekt für andere trans* und non-binäre Personen. Ich bin mir dieser Verantwortung sehr bewusst und habe manchmal Schwierigkeiten, mich abzugrenzen und nicht immer Aufklärer*in zu spielen. Also kurz gesagt: Es ist schwierig und ich lerne noch einen guten Umgang damit."
     

  3. Hast du das Gefühl, dass das gesellschaftliche Bewusstsein für Vielfalt wächst? Wo siehst du den größten Fortschritt, wo die größten Baustellen? (Hier ggf. Zugang zu geschlechts-bestätigende medizinische Maßnahmen?) Wie bewertest du die Rolle von Social Media in dem Kontext? 

    Es wächst auf jeden Fall das Bewusstsein und auf viele Arten auch die Akzeptanz! Besonders viel Hoffnung gibt mir die jüngere Generation - dort ist queer sein ein so präsentes Thema und es hat sich einfach so viel getan seit meiner eigenen Schulzeit, die 2012 endete, also auch nicht soooo lange her. Auch die gesetzlichen Änderungen helfen wirklich. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf das Selbstbestimmungsgesetz freue. So viele Personen haben so lange dafür gekämpft und es ist damit wirklich ein großer Schritt geschafft. Ich hoffe nur, dass es jetzt nicht in den letzten Schritten scheitert, sondern dass es weiterhin diskriminierungsfrei, menschenrechtswürdig und schnell verabschiedet wird. 

    Aber ja, die Baustellen: Zugang zu geschlechtsbestätigenden medizinischen Maßnahmen in Deutschland für non-binäre Personen. Ich setzte mich seit circa eineinhalb Jahren mit dem Thema auseinander und bin immer wieder überrascht, wie wenig darüber gesprochen wird, wie wenige darüber Bescheid wissen und ehrlich gesagt, wie wenige sich darüber aufregen! Aber vielleicht kurz erklärt: Geschlechtsbestätigende medizinische Maßnahmen umfassen alle Behandlungen, die den Leidensdruck, der durch Geschlechtsdysphorie beziehungsweise Geschlechtsinkongruenz (Google hilft) entsteht, verringert und damit behandelt. Das kann zum Beispiel Logopädie (Stimmtraining), Haarentfernung, Hormontherapie oder verschiedene Operationen sein. Oft wird bei dem Thema nur von Operationen gesprochen und auch, als ob es von vorne rein ganz genau feststehen würde welche Operationen gemeint sind. Aber es gibt so viele Optionen und Variationen. Geschlechtsbestätigende Medizin ist vielfältig und der wissenschaftlich bestätigte beste Weg, Geschlechtsdysphorie zu behandeln. Es gibt so, so viel Daten, die dies bestätigen. Und auch non-binäre Personen leiden oft unter Geschlechtsdysphorie, doch in Deutschland hat man als non-binäre Person, ganz platt gesagt, verloren. Man erhält so gut wie keine Behandlungen, obwohl, wie gesagt, es auf fachmedizinischer und internationaler Ebene einen ganz klaren Konsens dazu gibt. Warum? Die Ärzte*Ärztinnen zeigen auf die Kassen, die Kassen zeigen auf den medizinischen Dienst und der medizinische Dienst zeigt auf die Gesetzeslage und die Regierung. Ich habe schon mit allen telefoniert und geschrieben, habe also die Fingerzeige-Kette sehr genau mitbekommen. Es wird gesagt, wir sollen auf den ICD 11 warten, der ja auch seit Jahren eingeführt werden soll. Und ja, es wurde nun von Deutschland ratifiziert, aber danach abrechnen kann man immer noch nicht. Man hat also als non-binäre Person in Deutschland zwei Optionen: Man lügt und sagt, man ist binär trans*, um lebensnotwendige Behandlungen zu erhalten. Und nein, "lebensnotwendig" ist nicht überspitzt. Suizid wird als Pandemie in der trans* community bezeichnet. Das Risiko ist circa neunmal höher als in der allgemeinen Bevölkerung. (USA Transgender Survey 2015). Die Suizidalität liegt in großen Teilen an der Geschlechtsdysphorie, die andere Hauptursache ist die Nichtakzeptanz im sozialen Umfeld sowie Diskriminierungserfahrungen, die wiederum durch medizinische Maßnahmen behandelt werden kann (USA Transgender Survey 2015). Also ja, die große Baustelle in Deutschland sehe ich in dem Zugang zu geschlechtsbestätigenden medizinischen Maßnahmen für non-binäre Personen.

    Und die Rolle von Social Media? Das kann schon sehr helfen, besonders bei der Verbreitung von Informationen und der Vernetzung. Ich habe vor circa einem Jahr eine Aktion gestartet, um genau auf das Thema aufmerksam zu machen, mit Petition, Insta-Account und so weiter. Und mein Hauptweg, um Infos dazu zu verbreiten, ist eben Social Media beziehungsweise Instagram (@lasstenbyssein). Aber Medien an sich, Streaming-Serien, Filme, Musik, Bücher, haben einen riesen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung. Die Tatsache, dass jetzt bei zum Beispiel in "Grey´s Anatomy", eine Serie, die meine Mutter gerne schaut, schon mehrere non-binäre Charaktäre waren, macht einen Unterschied. Sichtbarkeit normalisiert und Normalisierung trägt zur Sicherheit und Akzeptanz bei. 
     

  4. Was hältst du vom Pride Month und viel wichtiger: Was hältst du von Unternehmen / Organisationen, die sich daran beteiligen?      

    "Pride Month" ist echt ein komplexes Thema. Vereinfacht gesagt, finde ich es gut und schlecht - besonders, was der Pride Month mittlerweile geworden ist durch die Beteiligung von Unternehmen und Organisationen. Zum einen trägt es zur Normalisierung von queeren Menschen bei, was super wichtig und gut ist. Aber ich habe oft das Gefühl, dass es auch den Anschein erweckt, dass queere Menschen schon komplett gleichberechtigt sind und Pride nur noch eine Party ist. Pride ist als gewalttätige Auseinandersetzugn zwischen schwarzen Trans*Frauen und der Polizei gestartet - als sie gesagt haben, "Jetzt reicht´s!" und sich gegen die Diskriminierung gewehrt haben. Es war eine Protestbewegung, es war ein Aufschrei gegen Jahre von Gewalt und Diskriminierung. Und genau die Personen, die Pride gestartet haben - Trans*Frauen of Color, werden immer noch am meisten diskriminiert und am wenigsten zentriert im Pride und in der queeren Community. Es ist ein riesiges Problem und muss sich verändern. Zu der Beteiligung von Unternehmen/Organisationen: Ich finde eine Beteiligung besser als keine, aber es wird sich schon darüber lustig gemacht, wenn es eindeutig ist, dass hinter dem virtue signaling nichts ist. Für einen Monat einen Regenbogen hinter das Logo zu klatschen reicht nicht aus. Und es täuscht auch keinen. Aber ich finde es dennoch besser, als nichts zu machen, denn es ist schon ein kleines Statement, als Unternehmen oder Organisation zu signalisieren, dass man queere Menschen hypothetisch unterstützen wollen würde. Und auch wenn es ein kleines Statement ist - es hilft.
     

  5. Wie kann ein Arbeitgeber ein guter Ally sein? 

    Für trans* und non-binäre Personen gibt es zwei ganz fundamentale Sachen, die gemacht werden können: inklusive Toiletten und Pronomen in der Signatur. Die Pronomen in der Signatur zu haben, ist in vielen professionellen Kreisen in der USA schon seit mehr als fünf Jahren der Standard - und in Deutschland immer noch die Ausnahme, was echt frustrierend ist. Ansonsten ist es wie jedes andere Diversity-Thema: regelmäßige Fortbildungen für alle, Arbeitskultur, Ansprechpersonen haben, die auch wirklich die Stunden und Expertise dafür haben und eine symbolische Funktion haben, Vorbildfunktion der Leitungsstruktur, Repräsentation in der Leitungsstruktur und finanzielle Investitionen in das Thema. Diversity und Inklusion ist nichts, dass man nebenbei einfach und billig machen kann. Sondern es braucht Zeit und Geld - und wenn man das wirklich umsetzen will, und nicht nur schön davon sprechen will, muss man darin investieren. 


Vielen Dank für deine Worte, deine Offenheit und deinen Mut, Hunter!

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Das Bild zeigt Hunter DeTroy
Das Foto zeigt Hunter DeTroy aus dem Ressort Produkte & Programme.

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